Spätestens mit Beginn des zweiten Lockdowns im November 2020 zeichnete sich ab, dass die Karnevalssession 2020/2021 nicht wie gewohnt gefeiert werden konnte. Die meisten Vereine und Veranstalter hatten bereits Konzepte für verschiedene Szenarien entwickelt. Auch der Voerder Karnevalsverein (VKV) zog sehr früh die Möglichkeit in Betracht, dass der Straßenkarneval, der Karnevalszug und die Saalveranstaltungen abgesagt werden müsssen.

Über das Vorhaben, den Voerder Karnevalszug stattdessen am 14.02.2021 digital stattfinden zu lassen, war beim VKV schnell Einigkeit erzielt worden. Aber wie genau sollte so ein digitaler Zug aussehen?

Glücklicherweise bestehen seit der Vereinsgründung im Jahr 1972 enge Verbindungen nach Köln. So konnte Martin Scholz als zweiter VKV-Vorsitzender seine Beziehungen zur in der Karnevalshauptstadt ansässigen Firma Woodpecker-Film GmbH nutzen. Das innovative Start-Up-Unternehmen hat bereits viele Online-Produktionen erfolgreich abgewickelt. 

Die beiden Inhaber Jonas und Dustin vereinbarten mit dem VKV direkt mehrere Online-Konferenzen, um für Vertrauen in ein bis dato völlig unbekanntes Kommunikations-Format zu werben und die Idee eines virtuellen Karnevalszuges zu entwickeln. Schließlich galt es, die traditionellen Elemente eines Karnevalszuges mit einer mega-modernen Präsentation im virtuellen Raum in Einklang zu bringen.

Mit großer Reichweite via Twitch auf Sendung

Schnell war die Entscheidung zu Gunsten eines Livestreams auf der Twitch-Plattform getroffen worden. Das lässt sich am besten so übersetzen: ein Live Stream ist vergleichbar mit einer Live-Übertragung im Fernsehen - nur mit einer globalen Reichweite via Internet.

Die ersten Konzepte, wie der VKV inhaltlich auf Sendung gehen sollte, wurden im Laufe mehrerer Monate fortgeschrieben. Mit dem Motto "Der Zoch kütt noh Hus" setzte sich der VKV das ambitionierte Ziel, den Karneval einfach mal zu den Jecken nach Hause zu liefern.

Der einsame ZugleiterDer VKV organisierte die Hallen der Firma Setcon Expodesign GmbH, um mehrere von der Öffentlichkeit abgeschirmte Sendestudios einzurichten. Schnell erklärten sich zwei tapfere Karnevalisten zur Übernahme der Moderation bereit. Sven vom DKV Blau-Weiss Dinslaken und Marvin vom VKV führten durch sechs Stunden Live-Programm. Stefan, Michael, Georg - im echten Karnevalszug mit der Zugleitung beauftragt - ließen sich von Kamerakind Marcel als rasende Reporter in Szene setzen.

Das Trio hatte jede Menge Herausforderungen zu bewältigen. Einiges davon war sogar eine Eilmeldung wert: die Feuerwehr rückte aus, um eine außer Kontrolle geratene Konfettikanone zu löschen. Der einzige entlang der Zugstrecke angetroffene leicht verwirrte Besucher erhielt wegen Verstoßes gegen das Glasverbot einen Platzverweis. Und am Ende der Zugstrecke wurden die Außenreporter nach den erfolgreich überstandenen Strapazen mit Eierlikör belohnt. Gleichzeitig war auch das mit dem Schlitten im verschneiten Stadtgebiet unterwegs - in der Hoffnung, das Sendezentrum zu finden. Assistiert von der wechselhaft gelaunten Begleiterin Pia traf das Stadtprinzenpaar noch rechtzeitig vor Sendeschluss im Nachrichtenstudio ein.

Gemeinschaftsprojekt der Vereine aus Dinslaken und Voerde

Zurück ins Sendestudio: hier ließen die beiden Moderatoren per Exclusiv-Live-Schalte verschiedenene Vereine aus der Umgebung zu Wort kommen. Die benachbarten Vereine steuerten kreative Videopräsentationen bei, um sich zunächst bei den Zuschauern bekannt zu machen. Danach stellten sich die Vereine und Gruppen als Interview-Partner zur Verfügung - so konnte der VKV auch die Aufmerksamkeit auf die vielen befreundeten Karnevalsvereine lenken. Schließlich war das Projekt "virtueller Karnevalszug" als Gemeinschaftproduktion konzipiert, um den Zusammenhalt in schwierigen Coronazeiten noch mehr zu festigen. Im Organisationsteam der großen karnevalistischen Familie waren der HCC Hiesfeld, der DKV Blau-Weiss Dinslaken, die KG We sind wer dor Eppinghofen, das Narrenkommitee der Dinslakener Pinguine, die KG Rot-Gold Dinslaken und der MGV Eintracht Spellen vertreten.

DJDJ bei der ArbeitFür die musikalische Untermalung war DJ Holger verantwortlich. Sein Mischpult bediente er in wechselnden Karnevalskostümen auf dem Senatoren-Mottowagen in einem karnevalistisch dekorierten Hallenstudio. Damit die karnevalistische Traditon gewahrt blieb, wurden in den Moderationspausen nostalgische Videos der Karnevalszüge aus den letzten Jahrzehnten eingeblendet. Da wurden schöne Erinnerungen an vergangene Zeiten wach.

Coronakonform im Zoom-Raum

Wichtig war es den Produzenten auch, die Zuschauer aktiv ins Geschehen einzubinden. Der Live-Stream konnte kostenfrei verfolgt werden. Die Besucher konnten sich im Chat anmelden und direkt die Live-Übertragung kommentieren oder miteinander kommunizieren. Viele Online-Gäste machten vom Angebot der Zoom-Räume Gebrauch. So konnte während der Sendung live per Zoom-Konferenz in die bunt geschmückten Wohnzimmer unserer Zuschauer geschaltet werden.

Natürlich alles coronakonform unter Einhaltung der Schutzverordnungen. Ein Ärzteteam kümmerte sich bereits während der Generalprobe um diejenigen Personen, die Zutritt zu den Studios hatten. Der Standort der Studios war geheim gehalten worden. Ein von der Stadtverwaltung genehmigtes Hygienekonzept war erstellt. Die vom Sicherheitsdienst kontrollierten Einlassschleusen für einen begrenzten Personenkreis waren eingerichtet, Desinfektionsspender waren aufgestellt und alle Tests sind glücklicherweise negativ ausgefallen.

Der technische Aufwand war ebenfalls enorm. Im Einsatz waren rund zwanzig Kameras und fünfzehn professionelle Techniker. Dekomaterial, jede Menge Kabel, der Technikbereich mit zahlreichen Monitoren und die Lohnanteile für das Personal verursachten natürlich erhebliche Kosten, die mit einem reellen Karnevalszug vergleichbar waren.

Um die Kosten aufzufangen, bemühten sich die Karnevalsvereine um Sponsoren. Den zahlreichen Unterstützern musste erst einmal ausführlich erklärt werden, was ein virtueller Karnevalszug überhaupt ist und was der VKV zusammen mit den befreundeten Vereinen so vor hat. Hier konnte das Sponsorenteam sehr gute Überzeugungsarbeit leisten und sich dabei auf die erfolgreiche Werbekampagne stützen. Letztlich erklärten sich rund 35 Sponsoren bereit, den virtuellen Karnevalszug finanziell zu unterstützen. Je nach Budget wurden den Sponsoren verschiedene Varianten ermöglicht, um für sich zu werben. Angefangen vom Standardpaket mit der Einblendung der Firmenlogos bis hin zur Reklame als Videobotschaft blieben keine Wünsche offen.

Bundesweite Aufmerksamkeit und Grüße aus Köln

Ein hochprofessioneller Trailer zog in kürzester Zeit bundesweit die Aufmerksamkeit auf sich. Begleitet wurde die Werbekampagne mit täglichen Postings und Präsentationen, die sich in den sozialen Medien rasend schnell verbreiteten. Die Reichweite war so enorm, dass bekannte Karnevalsbands, Comedy-Stars und Künstler sogar in den Karnevalshochburgen auf das beschauliche Voerde aufmerksam wurden und ihre Grußbotschaften beim virtuellen Zuch hinterließen. Auf der Suche nach Karnevalsaktivitäten in Corona-Zeiten investierten überregionale Radiostationen und Fernsehsender ihre Sendezeit in Interviews mit dem VKV.

Obwohl die Kosten durch die Sponsoren gedeckt waren, erschlossen sich die Karnevalisten in der Liveübertragung noch eine weitere Einnahmequelle. Die Zuschauer konnten zu Gunsten der karnevalistischen Aktivitäten spenden. Zum Sendeschluss blieb sogar noch Geld übrig, das der Jugendfeuerwehr und der DRK-Jugend zu Gute gekommen ist. Verantwortlich dafür war ein Unternehmer, der spontan dem Spendenaufruf gefolgt ist und einen Betrag in Höhe von 1.111,11 Euro zweckgebunden im Rahmen der Live-Sendung zur Verfügung gestellt hat.

Insgesamt rund 26.000 Zuschauer schalteten sich während der Live-Sendung innerhalb von sechs Stunden auf dem Twitch-Kanal zu. Gleichzeitig verfolgten in der Spitze bis zu 3.000 Gäste das Geschehen. Abgesehen davon, dass finanziell alles gut war und dank sorgfältiger Planung das gesamte Online-Event problemlos verlief, sorgten die Karnevalisten vom rechten Niederrhein aus überregional für ein wenig Ablenkung in schwierigen Corona-Zeiten, allgemeines Wohlbefinden, gute Stimmung und Frohsinn in den heimischen Wohnzimmern.

Sendeschluss und Rückkehr in die Normalität

Die Resonanz war phänomenal - sogar in den Tagen nach dem virtuellen Karnevalszug nahmen die mediale Berichterstattung und der Zuspruch auf Facebook & Co kein Ende. Wir Jecken haben gelernt: karnevalistische Tradition und moderne Kommunikationsformen müssen sich nicht ausschließen. Auch wenn die Zusammenarbeit sehr vertrauensvoll war, einen riesigen Spaß gemacht hat und zum Sendeschluss ein rundum stimmiges Projekt erfolgreich ein wenig ironisch mit den Worten "Schalten Sie im nächsten Jahr bitte nicht wieder ein..." beendet wurde - der VKV wird sich ab der Session 2021/2022 mit aller Kraft dafür einsetzen, sämtliche Veranstaltungen wieder in Präsenzform zu ermöglichen.

ModeratorenMit dem virtuellen Karnevalszug haben die Jecken aus Voerde und Dinslaken sicherlich das Beste aus einer nicht ganz so einfachen Situation gemacht. Alle Projektbeteiligten wissen es sehr zu schätzen, dass die technischen Voraussetzungen für die Durchführung von Online-Events mittlerweile so weit fortgeschritten sind. Für die Zukunft können die wertvollen Erfahrungen aus Live-Streams und Online-Events begleitend in die Veranstaltungsplanung eingebunden werden. Dennoch sind die persönliche Begegnungen nicht so einach zu ersetzen. In diesem Sinne wünscht der VKV zusammen mit seinen befreundeten Vereinen allen Karnevalisten eine schöne Session in der Hoffnung auf ein möglichst unbeschwertes geselliges Beisammensein mit vielen persönlichen Begegnungen.